— 62 -
Wichtiges, erkennen anch wir hierin, allein nicht das allein wirk-same, nicht einmal das ausschlaggebende. Unserer Ansicht nachheißt eS die Bewegung im Arbeiterstand verkennen, wenn man ihrbloß materielle Motive unterschiebt, auch die Unzufriedenheit lediglichauf sozialdemokratische Hetzereien zurückführt. Seit einem Jahr-hundert geht ein unwiderstehlicher Zug durch die Zeit, welcher diefrüher einfluß- und machtlosen Volksklassen nach oben treibt; dieEmanzipation deS dritten Standes ist erreicht, die des vierten, desArbeiterstandes, in der Gährung begriffen. Derselbe erstrebt nichtbloß eine materielle Besserung, sondern auch eine soziale Hebungeiner Lage, entsprechend der durch alle Hülssmittel der Neuzeit ge-förderte:: und fortwährend steigenden Bildung des Arbeiterstandesund deS dadurch verminderten Abstandes seines Bildungsgrades vondem deS Arbeitgebers. Es hilft nichts, vor diesen Bewegungen dieAugen zu verschließen; sie wollen anerkannt uud in Rechnung ge-zogen sein. Wir haben es hier nicht mit Regeuwässern zu thun, dieschnell wieder verlaufen; eS ist eine Fluth, der man ihr Bett grabenuud die mau nicht durch zweckwidriges uud doch unnützes Ein-dämmen zum Ueberlaufen bringen sollte.
Es ist hier nicht der Ort, diese große soziale Frage theoretischzum Austrag zu bringen; wir beschränken uns auf praktische Er-örterungen. Wir möchten einmal die Erfahrung zu Gunsten unsererAnsichten zu Hiilfe rufen, zum andern aber auf Zerstreuung falscherund übertriebener Vorstellungen hinwirken, welche häufig mit derFrage der Arbeitervertretung verknüpft werden.
Auf die Erfahrung glauben wir nach zwei Richtuugeu ver-weisen zu dürfe::. Zunächst steht es als Thatsache sest, daß überalldie Stimmung der Arbeiter, ihr Verhältniß zu den einzelnen Arbeit-gebern, nur dann durch die getroffeuen Wohlfahrtseinrichtungenwesentlich gebessert worden ist, wenu der Arbeitgeber zu gleicher Zeitverstaud, sich auch deren persönliche Achtuug und Zuneigung zu er-werben. Wir finden in vielen Unternehmungen ein kaltes, oder garfchlechteS Verhältniß, einen unablässigen, dem Geschäft zum größtenNachtheil gereichenden Arbeiterwechsel — daS charakteristische Zeichen,daß kein moralisches Band zwischen Arbeitgeber und Arbeiter be-steht, — trotz der vollendetsten WohlfahrtSeinrichtungen und ge-