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Soziale Tagesfragen / von Wilhelm Oechelhaeuser
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Wenn z. B. der amerikanische Arbeiter das zwei- bis dreifache desdeutschen verdient, so lebt er darum nicht in gleichem Verhältnißbesser, da er die meisten seiner Bedürfnisse bedeutend theurer bezahlenmuß. Immerhin aber bedarf es keiner subtilen statistischen Unter-suchung, sondern nur eines vergleichenden Blickes auf die frühereund jetzige Lebenshaltung der Arbeiter, um zu der Ueberzeugung zugelangen, daß sie stets nur einen Theil der Lohnerhöhungen durchdie gestiegenen Preise vieler Lebensbedürfnisse eingebüßt haben und auchkünftig nur einbüßen werden. Diese Beobachtung macht auch inletzter Instanz das Lassalle 'sche sogenannteeherne Lohngesetz" zuSchanden, wonach der Arbeitslohn nie über den zur Fristung desthierischen Lebens erforderlichen Betrag steigen könne. Richtig isthierbei nur, daß dieses Minimum der Lebenserhaltung die untersteGrenze der Lohngewährungen, nicht aber die Formel für die Lohn-höhe im Allgemeinen bildet. Wenn aber nicht schon ein Blick aufdie thatsächliche Verschiedenheit der Löhne der einzelnen Arbeiter,ohne jede Beziehung zu deu Kosten ihres Lebensunterhaltes, die Un-richtigkeit jenes Gesetzes bewiese, so würde dieS die unbestreitbareThatsache darthun, daß die Arbeitslöhne fortwährend steigen uudder steigende Arbeitslohn ein fortwährendes Steigen der Lebens-haltung und der Bedürfnisse der Arbeiter und ihrer Familien mitsich gebracht, daß die Lebenshaltung des Arbeiters sich also immermehr von dem untersten Niveau der thierischen Lebenshaltung ent-fernt hat und dieses Niveau demnach gar nicht maaßgebend ist.

So tröstlich gestaltet sich also auf dem Boden der gegenwärtigenGesellschaftsordnung die materielle Zukunft des Arbeiters wie desArbeitgebers bei steigenden Löhnen. Der Arbeiter wird in immerbessere Lage kommen und doch der Unternehmergcwinn nicht wenig-stens hierdurch nicht dauernd geschmälert werden. Unsere Ge-sellschaftsordnung hindert diese Bewegung nicht, sondern fördert sieselbstthätig, selbst wenn die Humanität der Arbeitgeber und dieverstärkt auftretenden Forderungen der Arbeiter durchaus nicht alsCosffizienten der Beschleunigung hinzutreten sollten. Was aber alsvolkswirthschaftliches Gesetz im Allgemeinen richtig ist und seine Be-stätigung in der Vergangenheit bereits gefunden hat und auch in derZukuuft finden wird und muß, läßt sich deshalb noch nicht ohne